von Jürgen Chrobog, deutscher Botschafter in USA und Staatssekretär des Auswärtigen a. D.
und Präsident des Europäischen Senats-Politik der Verbandsgruppe
Wir Eigentümerunternehmer,
Vorsitzender a. D. der BMW-Stiftung Jürgen Chrobog
Erst die gute Nachricht: Der Wahlsieg von Biden wird für die internationale Politik
und Wirtschaft zu einer gewissen Beruhigung führen – außer Trump läuft Amok
und geht, unterstützt durch seinen Anwalt Rudi Giuliani, durch alle Instanzen. Da er
aber erste Prozesse bereits mangels ausreichender Beweisführung verloren hat und
sein Unterstützerkreis immer kleiner wird, und da auch die Republikanischen
Gouverneure sich die Behauptung verbeten haben, in ihren Staaten hätte es
Fälschungen gegeben, sind seine Chancen nicht groß. Selbst sein Lieblingssender
geht in Deckung.
Dennoch solle niemand glauben , unter Biden seien alle Probleme gelöst. Zwei
Gründe sprechen dagegen. Die amerikanische Gesellschaft ist tief gespalten – in fast
zwei gleiche Hälften. Der von Trump kreierte Hass wird so bald nicht vergehen.
Dennoch, wer Biden kennt, weiß, dass er sich um die Überwindung der Spaltung
bemühen wird. Wenn nicht wenigstens ein paar Republikaner kompromissbereit sein
werden, wird es ihm der Senat sehr schwer machen. Dass es zumindest bis zu den
anstehenden Nachwahlen einen gespaltenen Senat gibt, bedeutet für die Wirtschaft
eine Beruhigung. Biden und seine eher linksstehende Vizepräsidentin Harris können
nicht einfach durchregieren und für die Wirtschaft und Finanzwelt Fakten schaffen,
die man dort als störend empfinden würde. Andererseits kann er dadurch auch nicht
liefern, was viele seiner Wähler von ihm fordern. Er befindet sich in einer schwierigen
Lage.
Zweitens gibt es manche sachlichen Übereinstimmungen in den Auffassungen von
Trump und Biden. Das Amerika First hat auch Biden verinnerlicht, nur dass er es
„made in all of America“ nennt, ohne dies in derselben Brutalität wie sein Vorgänger
auszuspielen. Sein Verhältnis zu China unterscheidet sich kaum von dem von Trump
und wird uns weiter Schwierigkeiten bereiten. In Fragen des Freihandels waren die
Republikaner früher näher an den Europäern als die Demokraten, gerade wegen
deren Abhängigkeit von den Gewerkschaften. Das Projekt Nordstream 2 sollte
endlich kurz vor der Fertigstellung zu Ende gebracht werden. Man muss sich wirklich
fragen, warum man das umweltfeindlichste Produkt Fracking Gas aus den USA
importieren soll, statt weniger schädliches Nordstream Gas. Im Kongress gibt es aber
fast gleichen Widerstand auf beiden Seiten. Hiergegen sollten die Umweltschützer
protestieren. Die EU ist in diesen Fragen selbst gespalten. Sie hat viel
Überzeugungsarbeit zu leisten – nach innen wie nach außen.
In Europa gibt es drei Länder, die schwer von dem Wahlausgang enttäuscht sind:
Zunächst Großbritannien. Johnson hat einen Bruder im Geiste verloren. Trump
unterstützte ihn beim Brexit, denn es ging ihm um die Spaltung Europas. Biden
schätzt die Bedeutung der EU. Seine Neigung, den Brexit insbesondere auch mit
Bezug auf Irland durch einen Freihandelsvertrag zu belohnen, dürfte gering sein. Er
ist ein Anhänger des irischen Friedensabkommens. Neben Brexit und Corona haben
die Briten jetzt ein neues Problem namens Biden. Weitere Trump-Freunde, die
leiden, sind Ungarn und Polen. Ihnen ist ihr Lieblingspartner abhanden gekommen.
Deutschland und die EU werden sich auf einen neuen Präsidenten einstellen, der
konzilianter sein dürfte als der alte. Kommunikation und Diplomatie werden
zurückkehren. Meinungsunterschiede werden wieder ohne Feindseligkeiten
ausgetragen werden. Einige Probleme bleiben uns aber erhalten. Bei den
Verteidigungslasten können wir uns nicht länger wegducken. Das zwei Prozent-Ziel
wird auch bei diesem Präsidenten auf dem Tisch bleiben. Hier müssen wir
vorankommen, selbst wenn daraus ein Problem für die Berliner Koalition entstehen
sollte.
In Sachen Iran heißt es abzuwarten. Allerdings hat Biden kürzlich angedeutet, sich
hier der europäischen Haltung anzunähern. In dieser Frage dürfte es zum Streit mit
dem Kongress kommen. Dort könnten die Demokraten sogar härter auftreten als
die Republikaner, denn sie haben mit dem Iran noch eine Rechnung offen.
In der Handelspolitik ist schwer vorauszusagen, wie sich Biden verhalten wird. Es
ist zu hoffen, dass zumindest die Personalblockade aufgehoben wird, damit die
WTO wieder handlungsfähig wird. Gleiches gilt auch für das Verhältnis zur WHO.
Diese muss gestärkt werden schon im Hinblick auf weitere Pandemien.
Hoffnung können wir für das Umweltabkommen haben. Biden hat den
Wiedereintritt der USA bereits angekündigt. Wichtig ist die Bekämpfung der
Pandemie, ohne einen Kampf um Impfstoffe. Hier haben wir endlich wieder einen
Partner.
Deutschland und Europa können nach dieser Wahl zuversichtlicher in die Zukunft
schauen. Ein fairer Umgang zwischen EU und USA auf Augenhöhe ohne Erpressung
ist das, was wir brauchen. Es bleibt aber festzuhalten: die neue Regierung wird
insgesamt protektionistischer sein, als wir Europäer es uns wünschen.
Es bleibt nur noch abzuwarten, ob Trump noch einen letzten vergifteten Pfeil im
Köcher hat. Er hat als amtierender Präsident noch viel Zeit, die er nutzen kann.
Berlin, 09.11.2020
Jürgen Chrobog
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